DER BESTE SCHUTZ GEGEN SUDEP:

WISSEN, WAS MÖGLICH IST

DER BESTE SCHUTZ GEGEN SUDEP:

WISSEN, WAS MÖGLICH IST


Foto: Esther Haase

„Über meine Epilepsie spreche ich eigentlich mit jedem. Ich gehe damit sehr offen um. Das ist denke ich sehr wichtig, dass jeder weiß was du hast, was er zu tun hat, wenn du einen Anfall bekommst. Das ist reinster Selbstschutz.“

Katja (41), Versicherungskauffrau

KATJA

Katja ist 41. Mit 14 hatte sie ihren ersten epileptischen Anfall. Ihre Schwester war damals beim Anfall dabei. Nicht nur ihre Familie, sondern auch ihr sonstiges Umfeld und ihre Lehrer waren überfordert von dieser völlig neuen Situation. Niemand wusste etwas über Epilepsie. Mittlerweile ist sie seit zwei Jahren anfallsfrei – und genießt ihr Leben in vollen Zügen. Mit der Erkrankung geht sie trotzdem sehr offen um: „Über meine Epilepsie spreche ich eigentlich mit jedem. Jeder der es wissen will oder auch nicht, der weiß Bescheid.“ Wenn das Umfeld informiert ist, kann es bei einem Anfall richtig reagieren. „Das ist reinster Selbstschutz,“ sagt Katja. Die Menschen sollten wissen, was sie im Notfall tun können, um der Person im Anfall zu helfen, sie zu schützen. Und nach dem Anfall – wenn es zum anfallsbedingten Atemstillstand (SUDEP) kommen kann.

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Medizinische Informationen zu Epilepsie und SUDEP


Welche Therapiemöglichkeiten hat man bei Epilepsie?

Jeder weiß, dass es Medikamente gegen Epilepsie gibt. Diese zielen darauf ab, epileptische Anfälle zu unterdrücken. Darüber hinaus gibt es weitere Therapiemöglichkeiten. Von diesen erfahren Patient:innen häufig erst spät. Oder gar nicht. Aus diesem Grund stellen wir Ihnen die 5 Hauptsäulen der Hauptsäulen der Epilepsietherapie hier kurz vor:

Hauptsäule 1: Medikamententherapie und Präzisionstherapien

Anfalls­supprimierende Medikamente werden meist als erstes eingesetzt, um epileptische Anfälle zu unterdrücken. Diese Medikamente sollen die übermäßige Aktivität und Netzwerkstörung der Nervenzellen hemmen. Dies gelingt bei etwa zwei Dritteln aller Patient:innen, sodass diese unter anfallssupprimierenden Medikamenten anfallsfrei werden.

Patient:innen, die trotz zwei korrekt ausgewählten und korrekt dosierten anfallssupprimierenden Medikamenten nicht anfallsfrei werden, bezeichnet man als „medikamentenrefraktär“ bzw. „therapieschwer“. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein drittes oder weitere Medikamente zur Anfallsfreiheit führen, ist relativ gering (je nach Studie unter 5% bzw. unter 18%). Spätestens dann müssen andere Therapieoptionen besprochen werden.

Viele häufig genutzte Medikamente sind nicht für alle Altersgruppen bzw. Epilepsieformen zugelassen. Dennoch können erfahrene und wissenschaftlich arbeitende Ärzt:innen diese in geeigneten Fällen „off-label“ (außerhalb der Zulassung) verschreiben. Dies kann unter Umständen bessere Therapiechancen eröffnen; bitte besprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin, ob eine off-label-Therapie für Sie oder Ihr Kind in Betracht kommt bzw. diese damit vertraut sind.   

Zunehmend gibt es sog. Präzisionstherapien bei der Behandlung von Epilepsien. Diese fangen bereits bei der Auswahl bestimmter besser wirksamer anfallssupprimierender Medikamente bei bestimmten Epilepsiesyndromen an. Zudem werden durch den Fortschritt in der präzisen Benennung genetischer Epilepsien zunehmend zielgerichtete, d.h. am Krankheitsmechanismus angreifende Therapien beschrieben. Auch wenn dies derzeit nur eine geringe Zahl an genetischen Epilepsien betrifft, so weitet sich das Wissen immer weiter aus, gestützt durch das zunehmende Angebot genetischer Diagnostik. Zu den Präzisionstherapien gehören auch individuelle Lebensweisen, die helfen, oder Therapien, welche in bestimmte Stoffwechselwege eingreifen oder an das veränderte Genprodukt selbst. Für manche Erkrankungen sind Gen-modifizierende oder -ersetzende Therapien in der Entwicklung.

Zu den anfallssupprimierenden Medikamenten gehören (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Azetazolamid (AZA)

Brivaracetam (BRV)

Bromid (BR)

Cannabidiol (CBD)

Carbamazepin (CBZ)

Cenobamat (CBM)

Clobazam (CLB)

Clonazepam (CZP)

Diazepam (DZP)

Eslicarbazepin (ESL)

Ethosuximid (ESM)

Everolismus (EVR)

Felbamat (FBM)

Fenfluramin (FFM)

Gabapentin (GBP)

Lacosamid (LCM)

Lamotrigin (LTG)

Levetiracetam (LFV)

Mesuximid (MSM)

Midazolam (MDZ)

Nitrazepam (NZP)

Oxcarbazepin (OXC)

Perampanel (PER)

Phenobarbirtal (PB)

Phytoiin (PHT)

Piraceam (PIR)

Pregabalin (PRG)

Primidon (PRM)

Rufinameid (RUF)

Stiripentol (STP)

Sultiam (STP)

Topiramat (TPM)

Valproat (VPA)

Vigabatrin (VBG)

Zonisamid (ZNS)

Anwendungsgebiete, Dosierungsgrenzen und mögliche Nebenwirkungen häufig verordneter anfallssupprimierender Medikamente:

Levetirazetam:

Wird angewendet bei generalisierten und fokalen Epilepsien

Dosierung: 40-60 mg/kg/Tag

Nebenwirkungen: Aggressivität, Verhaltensstörung, Suizidalität

 

Lamotrigin:

Wird angewendet bei generalisierten und fokalen Epilepsien

Dosierung: 1-15 mg/kg/Tag

Nebenwirkungen: Sehstörungen, Schwindel, Schlafstörungen, Allergische Hautreaktion

 

Clobazepam:

Wird angewendet bei generalisierten und fokalen Epilepsien

Dosierung: 0,1-1 mg/kg/Tag

Nebenwirkungen: Schwindel, Müdigkeit, kognitive Störung

 

Sultiam:

Wird angewendet bei selbstlimitierender Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes

Dosierung: 3-10 mg/kg/Tag

Nebenwirkungen: Gachypnoe, Parästhesien, Übelkeit, Erbrechen

 

Ethosuximid:

Wird angewendet bei Absencen

Dosierung: 15-30 mg/kg/Tag

Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Parizytonpenie

Hauptsäule 2: Epilepsiechirurgie

Ein gehirnchirurgischer Eingriff ist derzeit die einzige Möglichkeit, eine Epilepsie zu heilen.  

Die Möglichkeit eines gehirnchirurgischen Eingriffs sollte unbedingt geprüft werden, sobald sich zeigt, dass sich die Epilepsie nicht durch Medikamente kontrollieren lässt. Typischerweise wird diese Möglichkeit ärztlicherseits aber nicht oder zu spät in Betracht gezogen. Dies hat auch mit überholten Vorurteilen zu tun.

Patient:innen sollten Epilepsiechirurgie unbedingt in Betracht ziehen und prüfen lassen, ob sie grundsätzlich hier für geeignet sind. Der Eingriff kommt nur dann in Betracht, wenn eine Läsion des Gehirns als Ursache der Epilepsie ausgemacht wurde (1/3 aller Patienten haben eine Läsion) und sonstige Voraussetzungen vorliegen. Lediglich 10% der Patienten mit Gehirnläsion eignen sich für eine Epilepsiechirurgie; das sind etwa 25.000 Menschen. Von diesen werden etwa 70% aufgrund der Operation anfallsfrei.

Neben heilenden Operationen gibt es auch Operationen mit dem Ziel, das Anfallsgeschehen zu reduzieren.

Alle Patient:innen mit medikamentenrefraktärer Epilepsie sollten als potentielle Operationskandidaten betrachtet werden. Die Empfehlung für oder gegen eine Operation wird in der Regel im Rahmen einer interdisziplinären epilepsiechirurgischen Fallkonferenz unter Abwägen des Für und Wider am Ende eines ausführlichen, individualisierten Abklärungsprozesses gestellt. Dies ist nur in hochspezialisierten Zentren möglich, sodass Sie sich zur Abklärung ggf. proaktiv und unabhängig von der Haltung Ihrer behandelnden Ärzt:innen an ein solches Spezialzentrum überweisen lassen sollten.

Hauptsäule 3: Hirnstimulierende Verfahren

Therapeutisch wirken auch sog. Verfahren der Neurostimulation. Diese führen zwar nicht zu Anfallsfreiheit, aber können je nach Art der Epilepsie und des eingesetzten Verfahrens eine deutliche Minderung der Anfallsfrequenz bzw. –schwere erzeugen.

Neurostimulation bedeutet, dass Strukturen im Gehirn oder solche, die dort hinführen (wie der Vagus-Nerv), mit niedriger Stromstärke stimuliert werden. Auf diese Weise soll die Übererregbarkeit im Gehirn, die die Basis von epileptischen Anfällen und Epilepsien darstellt, herabgesetzt werden. Zu Stimulationsverfahren gehören unter anderem die Vagusnervstimulation (VNS), die tiefe Hirnstimulation (deep brain stimulation, DBS), die responsive Neurostimulation (RNS).

Es handelt sich jeweils ebenfalls um operative Verfahren, die von einem Gehirnchirurgen durchgeführt werden.

Hauptsäule 4: Ernährung

Durch Ernährung kann man die Ausprägung von Epilepsien und Anfälle verhindern. Deswegen sagten Ärzt:innen auch: Ernährung wirkt wie ein Medikament. Das weiß man seit Jahrhunderten, und deswegen werden therapeutische Ernährungsformen noch heute wirksam zur Therapie von Epilepsien eingesetzt. Die bekannteste therapeutische Ernährungsform bei Epilepsie ist die ketogene Diät. Sie stellt eine sehr alte Therapieform dar und beruht auf der Beobachtung, dass Personen mit Epilepsien während des Fastens weniger epileptische Anfälle haben.

Bei der ketogenen Diät und anderen epilepsiewirksamen Ernährungsformen wie der modifizierten Atkins-Diät und der Low-glycemic-lndex-Diät werden – vereinfacht gesagt – Kohlenhydrate durch gesunde Fette ersetzt. Die Ernährung ist zuckerarm, eiweißbilanziert und fettreich.

Eine epilepsiewirksame Ernährungsform sollte mit Ihren Ärzt:innen abgestimmt sein. Sprechen sie ab, ob für Sie oder Ihr Kind diese Therapie – ggf. ergänzend – in Frage kommt.

Hauptsäule 5: Aufklärung und Beratung

Ein ganz wesentlicher Baustein der Epilepsietherapie ist eine umfassende Beratung und Aufklärung über sämtliche Therapiemöglichkeiten, Risiken einschließlich SUDEP sowie Notfallmaßnahmen. Hierzu gehört, den Patient:Innen schriftliche Informationen (Flyer, Hinweise auf geeignete Websites, Patientenorganisationen) an die Hand zu geben, um das Gehörte zu vertiefen. Nur ein Informierter Patient kann seine Risiken einschätzen und sich risikoadäquat verhalten. Mehr dazu erfahren Sie unter →Prävention und →Aufklärung.

„Es ist beruhigend, dass man sein Leben wieder einigermaßen leben kann.“

Katja